Exerzitienvorträge für die Oblatinnen 1886

      

1. Vortrag: Über die Bedingungen von guten Exerzitien

Mittwoch Vormittag, 1. September 1886

Meine Kinder, als ich die Exerzitien für unsere Patres hielt, sagte ich ihnen zu Beginn, dass es in diesem Jahr grundlegende Exerzitien sein sollen, in deren Verlauf sich die Kongregation in ihrem Geist festigen müsse, wo jeder den Vorsatz fassen soll, wirklich zu sein, was die Ordensregel von ihm verlangt. Alle gingen gut auf diesen Gedanken ein und sie sagten mir mehrmals: „Wir verstehen nun Dinge, die wir bis jetzt nicht verstanden haben.“
Meine Kinder, was ich ihnen gesagt habe, sage ich auch euch: Bis jetzt haben wir gemacht, was wir konnten. Man ist immer klein, ehe man groß ist. Aber jetzt würde das nicht mehr genügen. Der heilige Paulus sagt selbst: „Als ich ein Kind war, redete ich wie ein Kind, dachte wie ein Kind und urteilte wie ein Kind. Als ich ein Mann wurde, legte ich ab, was Kind an mir war“ (1 Kor 13,11). Auch wir müssen im Ordensleben wachsen, deshalb müssen wir neue Tatkraft schöpfen, in dem wir gute Exerzitien machen. Ich hoffe, dass unsere Satzungen in einiger Zeit von Rom genehmigt werden. Sie verpflichten uns sehr stark. Daher muss sich jede fest vornehmen, in der Einhaltung getreu zu sein. In der Welt kann eine Person sehr gut sein, in dem sie heute und morgen anders lebt, aber im Ordensleben ist das unmöglich. Eine Nonne, die so leben würde, würde nach und nach in Laxheit verfallen.
Wir werden also die Exerzitien sehr ernsthaft machen, damit von nun an jede die Opfer gut bringen kann, die der liebe Gott von ihr verlangt. Im Ordensleben ist man nicht immer allein mit dem lieben Gott, man hat auch mit dem Nächsten zu tun, zu dem man Beziehungen der Liebe, des Gehorsams hat. Man kommt immer gut mit dem lieben Gott aus, aber mit den Geschöpfen, die jedoch oft besser sind als wir, ist es nicht das Gleiche.
Ich sage euch jetzt ein paar Worte, meine Kinder, denn es muss sich jede entscheiden, sich ganz anders zu machen; was die Satzungen verlangen. In Rom ist man nicht zu fordernd, aber wenn man sich auf etwas einlässt, muss man es vollenden. Es muss also unser Verhalten unserer Ordensregel, deren Einhaltung, der Abtötung unterworfen sein, denn es gibt kein Ordensleben ohne Abtötung. Ich glaube, dass jeder fest entschlossen ist, so zu handeln, und dass man sich daran machen wird. Noch einmal, die Exerzitien unserer Patres waren mir ein großer Trost, denn es war keiner dabei, der nicht den Entschluss gefasst hätte, alles zu opfern, um das wahre Ordensleben zu führen.
Es ist ein Gebäude, wie der heilige Augustinus sagt, das sich bis zum Himmel erhebt, es ist eine Treppe, die von der Erde zum Himmel ragt. Glücklich, wer unterwegs nicht stehen bleibt, denn die letzte Stufe ist die Schwelle zum Paradies.
Das ist also das Ziel unserer Exerzitien, uns in der Übung der Ordensregel und deren Einhaltung gut zu festigen. Ihr werdet sehen, meine Kinder, der liebe Gott wird euch viel helfen.
Aber wie werden wir diese Exerzitien machen? Man muss sehr genau sein bei den Übungen der Ordensregeln, sehr pünktlich beim Ton der Glocke zum Gebet, zur geistlichen Lesung, zu den Vorträgen. Die gut gemachten Exerzitien vermitteln besondere Gnaden. Ein wenig Wasser über den Kopf eines Kindes gegossen, macht es für Zeit und Ewigkeit zum Kind Gottes, ebenso bringt jedes Leiden, jede Mühe, jede Übung der Exerzitien eine besondere Gnade, und wenn die Taufe Christen macht, machen die Exerzitien Ordensleute. Schränkt euch ein, ich bitte euch, ich beschwöre euch. Das wird euch abtöten. O ja, seid abgetötet, um der Liebe eurer Seele, eures Herzens willen. Also große Genauigkeit beim Aufstehen und bei allen Übungen. Wenn ihr wüsstet, was an Verdiensten diese Mühe einbringt, wüsstet ihr, dass es notwendig ist, dass ihr abgetötet seid.
Ich empfehle euch also, meine Kinder, eine große Genauigkeit, dann die Stille. Sagen wir während des Tages niemandem etwas, außer ein notwendiges Wort für unsere Arbeit, aus Herzlichkeit. Aber ihr wisst, wenn der heilige Franz von Sales eines erlaubt, erlaubt er nicht zwei, nicht zwanzig; also die vollkommenste Stille.
Die dritte Bedingung für gute Exerzitien ist die Sammlung: Sammlung im Gebet, in der Einheit mit dem lieben Gott. Ihr werdet an das denken. Was euch unser Herr auf dem Grund des Herzens gesagt haben wird, an das, was ich euch gesagt habe, ihr werdet es in euer Gedächtnis einprägen. Die heilige Teresa machte es so. Bei euren üblichen Fehlern, zu denen ihr für gewöhnlich neigt, werdet ihr euch besonders bemühen. Aber ich bitte euch, lasst euren Geist nicht nach rechts oder nach links gehen, führt ihn milde, sanft zum lieben Gott zurück.
Genügt das alles, damit eure Exerzitien gut sind? Nein, man braucht noch etwas anderes, man muss mit Liebe in unserem Herzen handeln. „Kommt mit mir“, sagt unser Herr, „und ruht ein wenig aus.“ „Aber, Herr, wie werde ich ausruhen?“ „Indem du auf das Wort hörst, das ich dir auf dem Grund deines Herzens sagen werde.“ Ihr müsst eure Exerzitien in einem tiefen Gefühl der Gottesliebe machen. Ahmt Maria nach, die zu Füßen ihres guten Meisters nur auf sein göttliches Wort hörte. Dieses im Geist der Exerzitien gehaltene Gefühl bringt Ruhe in unser Herz. Ob wir an eine Sache oder an eine andere herangehen, ist unwichtig, machen wir alles in der Stille, in der Sammlung, aber aus Liebe. „Wen liebt also eine Nonne, die Gott nicht liebt?“ Ich sage euch nicht wie der heilige Chrysostomus: „Wer Gott nicht liebt, der liebt den Teufel.“ Nein, ich werde euch nicht die Schmach antun, euch zu sagen, dass ihr euch an etwas außerhalb eurer Pflicht hängt. Und dennoch beklagt ihr euch, Gott nicht zu lieben, mit ihm nicht sprechen zu können. Warum? Ich werde es euch sagen. Wenn ihr einen ein wenig schwierigen Gehorsam empfangen habt, wenn man euch etwas gesagt hat, das euch missfällt, unterhaltet ihr euch nicht darüber mit euch? Wagt es nicht nur euch zu sagen und den ganzen Tag darüber zu sprechen, sondern auch mit Gott. Nun man unterhält sich mit dem, den man liebt, ihr habt also euch, warum nicht auch Gott?
Wofür seid ihr empfänglich? Was berührt euch? Ist es nicht eure Gesamtheit, eire Gefühle, alles, was eure Person betrifft? Euer Herz? Wenn all das nicht am lieben Gott hängt, fällt es auf euch zurück, und da die Eigenliebe in euch ist, kann die Gottesliebe da nicht herrschen. Und wenn ihr sagt: „Ich liebe Gott nicht“, fügt hinzu: „Weil ich mich selbst sehr liebe. Ich suche nur mich, ich bin nur mit mir beschäftigt.“ Unser Ordensleben ist aber nicht die Eigenliebe, sondern die Liebe zu unserem Herrn. Die Exerzitien sollen unser Herz von uns selbst lösen und es zum lieben Gott tragen. Während der Exerzitien gehen die, die unseren Herrn gern haben, mit ihm in die Wüste, um sein Wort zu hören.
Meine Kinder, sagen wir unserem Herrn mit ganzem Herzen: „Herr, die Mühen, die Trockenheiten, die Ärgernisse nehme ich für deine Liebe an.“ Sucht dann einen kleinen Platz, um sich zu ihm zu setzen und ihm alles anzuvertrauen, was ihr ihm zu sagen habt. Und das in der Aufrichtigkeit eures Herzens. „Aber ich sehe ihn nicht …“ Das ist wahr, aber er ist durch seine Gnade da. Eure Augen können ihn nicht sehen, aber er ist ganz nahe bei euch, und wenn ihr ihn liebtet, würdet ihr wohl verstehen, dass er da ist.
Ihr müsst also, meine Kinder, eure Exerzitien sehr genau machen. Mit dieser Genauigkeit, die mit der Gnade der Exerzitien verbunden ist. Dann die Stille. Sagt nichts. Die Sammlung, die Stille von euren Gedanken, von allem, was euch zerstreuen kann. Nichts möge euch Sorgen machen. Haltet euch gut in der Gottesliebe und bleibt bei ihm wie Maria. Sagt ihm wie der Apostel: „Herr, wo wohnst du? Was soll ich machen? Sag mir, was du von mir verlangst.“ Das soll euer vertrauliches Gespräch mit unserem Herrn sein. So, meine Kinder, müsst ihr eure Exerzitien machen. Amen.