Exerzitienvorträge für die Oblatinnen 1873-1889

      

Vorwort der Generaloberin der Oblatinnen

Die jährlichen Exerzitienvorträge für die Oblatinnen des hl. Franz von Sales von ihrem Gründer, dem seligen Louis Brisson, wurden von seinen Töchtern ehrfürchtig gesammelt. Zuallererst fassten sie diese in groben Zügen zu ihrer persönlichen Verwendung aus ihrem Gedächtnis zusammen. Bald jedoch verstanden sie, wie wichtig es für die Zukunft ihres Institutes war, diese Unterweisungen ihres „guten Vaters“ so getreu wie möglich aufzubewahren. So verfassten sie diese vollständiger, indem sie während der Vorträge mitschrieben. Auf diese Weise wurden die Exerzitienvorträge von 1873 bis 1889 erhalten.
Der selige Louis Brisson schrieb seine Vorträge nicht auf. Er sprach zu seinen Töchtern aus der Fülle seines Herzens, nachdem er seine ganze Seele und seine ganze Aufmerksamkeit in Gott gefestigt und auf ihn hin gerichtet hatte. Seine Gesten waren zurückhaltend, seine manchmal zum Himmel erhobenen Augen schienen hin und wieder in die Unendlichkeit einzutauchen. Seine gesammelte Haltung, der Eindruck seiner Heiligkeit, der von seiner Person ausging, berührte seine Töchter so lebendig, dass sie seine Unterweisungen als direkten Ausdruck des Willens Gottes für sie annahmen. Seine Worte waren schnell, salbungsvoll, eindringlich und oft feurig. Er drückte gegenüber den Oblatinnen seine Gedanken bald ganz vertraulich mit der Hingabe eines Vaters aus, der mit seinen Kindern spricht, bald mit der Autorität eines Gründers, der tief in die Seele seiner Nonnen einprägen will, was der Geist Gottes ihm für sie diktiert. Wenn man diese Exerzitien liest, ist man manchmal von der Vollkommenheit überrascht, die er von seinen Kindern fordert. Hier die Einschätzung eines gelehrten Ordensmannes: „Mir scheint, dass P. Brisson sehr sanft war, dennoch war er auch streng. Seine Erklärungen der Gelübde sind alles, was es an Erhabenstem gibt. Wie viel verlangte er von seinen Nonnen? Der Stil seiner Unterweisungen ist edel und sehr lebendig. Viele Seiten haben alle Schönheit auch bezüglich der Form. Sie werden vielen Seelen nützen. P. Brisson erhebt sich sehr hoch, er gibt seinem Wort ein ganz besonderes Gepräge.
Die in seinen Exerzitienvorträgen behandelten Themen sind verschieden: der selige Gründer bemüht sich nicht nur, seinen Töchtern die Gelübde, deren Übung, die Erlesenheit des Ordensstandes zu lehren, sondern auch den besonderen Geist, den er seiner Kongregation geben will. Liest man die analytische Aufstellung seiner Vorträge, findet man häufig Titel wie diese: Aufgabe der Oblatin. – Der Geist, den die Oblatinnen haben sollen. – Das Direktorium des göttlichen Willens. – Die Hingabe an den Heiland. – Die Ehrerbietung für den Nächsten.
Der selige P. Brisson verwendet also seine ganze Sorgfalt darauf, um in die Seele seiner Töchter den Geist einfließen zu lassen, den er ihnen von Gott her mitteilen will. Außerdem hat er die Gabe, sich in die Reichweite seiner Zuhörer zu begeben. Er kann sich ihnen anpassen. Seine Sprache für die Novizinnen ist anders als die für die Professschwestern. Für die Novizinnen verwendet er gemäßigtere Ausdrücke. Er versucht, ganz sanft in ihre Herzen die Liebe zu den Seelen und zu ihrer heiligen Berufung einfließen zu lassen. Das Ziel, für das sie gegründet wurden, ist es, den Heiland den Seele zu geben und sie werden ihn ihnen immer durch die getreue Beobachtung der Ordensregel geben. Doch die Kraft und die Festigkeit sind von den Unterweisungen, die er ihnen gibt, keineswegs ausgeschlossen. Er passt sich ihrer Schwäche und ihrer Unerfahrenheit an, das ist wahr, aber er will sie auch stark und mutig machen und regt ihren Eifer durch Worte an, die sie treffen und ihnen Gnade und Licht bringen: „Als ich euch gründete, machte ich, was mir unser Herr sagte; nun ist es an euch zu machen, was der Heiland von euch will.“
Wenn sich der selige Gründer an die Professschwestern wendet, nimmt seine Sprache einen energischeren, stärkeren Charakter an. Er schon seine Töchter nicht: „Ich will euch in der Wahrheit, im Gehorsam zur Regel gegründet sehen. Gehorcht sofort, brecht ab, gebt euren ganzen Willen, denn es wäre hart für mich, nachdem ich mein Leben damit verbrachte, in eure Seele den Schatz zu werfen, den der Heiland Tag für Tag, Stunde für Stunde für euch in meine Seele legte, diese Reichtümer verloren zu sehen. Ich beschwöre euch also, euch unter das Gesetz des Gehorsams zu beugen, das Gesetz, das euch zu Erwählten macht.“ In den Ausdrucken, die er für sie verwendet, erfasst man leicht seinen lebhaften Wunsch zu sehen, dass sie zur Vollkommenheit ihres geheiligten Standes gelangten. Er lockt sie oft mit unwiderstehlichen und von der Gottesliebe ganz entflammten Worten: „Wenn ihr die Kongregation gründen wollt, muss es aus Liebe sein. Seid unserem Herrn ganz ergebene Töchter. Liebt ihn mit einer tiefen, großen, grenzenlosen Liebe. Gebt Gott kein kaltes, gefühlloses Herz, seid nicht wie Maschinen, die irgendeinem Impuls folgen. Seid Seelen, die Lieben, Herzen, die fühlen. Möge euch unser Herr in seinem Sakrament der Liebe diesen heiligen Strahl mitteilen, durch den wir den Weg unseres Herzens zu seinem Herzen erkennen. Macht, was dazu nötig ist: kauft die Liebe zum Goldpreis, zum Preis der Liebe. Gebt alles, opfert alles, um die Liebe des Heilands zu bekommen. Und je mehr ihr zu geben haben werdet, desto mehr werdet ihr zu empfangen haben. Gebt hundert Mal, gebt wieder, gebt immer. Denn den Heiland lieben ist der Himmel. Im Himmel werden wir nichts anderes machen als lieben. Wir werden also unser Paradies auf Erden beginnen, denn der Himmel ist nichts anderes als reine, ganze, freie, unendliche Liebe!“
Diese kurze Analyse der Exerzitien des seligen P. Brisson gibt einen schwachen Überblick über die Reichtümer, die sie enthalten. Seine Töchter werden daraus alle Belehrungen schöpfen, die geeignet sind, sie in den wahren Geist ihres Instituts zu begründen. Das Urteil, das dieser schon erwähnte gelehrte Ordensmann über diese frommen Vorträge fällt, ist umso schätzenswerter, da er selbst an ihrer Veröffentlichung mitarbeitete. „Das sind wahre Schätze“, sagte er, nachdem er sie geprüft hatte, und die Oblatinnen des hl. Franz von Sales können sich glücklich schätzen, die Töchter eines solchen Vaters zu sein und von ihm im Ordensleben geführt worden zu sein.
Glücklich sind sie auch, dass sie, um das Wort ihres Gründers ins Licht zu rücken, vom Himmel eine so wertvolle Mitarbeit wie die des gelehrten Benediktinerprälaten bekommen haben, der trotz wichtiger Arbeiten, mit denen ihn die Heilige Kirche betraute, dennoch geruhte, der Durchsicht dieser Vorträge viele Stunden zu widmen.
Er hat sich eine tiefe und achtbare Kenntnis der Oblatinnen erworben und sein verehrter Name wird für immer im ganzen Institut gesegnet bleiben.

Perugia, am Fest der Geburt des heiligen Johannes des Täufers, am 24. Juni 1915

Vorwort von P. Janssens OSB

Ehrwürdige Mutter,

Sie wollen mir für die Stunden danken, die ich der Durchsicht der Vorträge ihres hochwürdigen P. Brisson nach den Notizen, die seine Zuhörerinnen hinterlassen haben, widmete.
Vielmehr steht es mir zu, meine Dankbarkeit für die große Erbauung auszudrücken, die mir diese Arbeit bescherte.
In eine so bevorzugte Seele tiefer einzudringen, ist eine vom guten Meister gewährte Gnade. Möge es seinem göttlichen Herzen gefallen, dass sie mir reichlich nützt!
Die Lehre des hochwürdigen P. Brisson ist eine kräftige Nahrung, die imstande ist, die frommen Seelen in allen Schwierigkeiten des Lebens zu stützen und sie über die steilsten Pfade bis zur Spitze des Opfers zu geleiten.
Unerbittlich die Lauheit zu verfolgen, die Eigenliebe aufzudecken, die Mittelmäßigkeit zu bekämpfen ist ihr Gründer gleichzeitig auch liebevoll und väterlich. Man fühlt sowohl eine Strenge, als auch eine frohe Seele. Mit einem Wort: seine Vorträge spiegeln in allem den Geist des heiligen Franz von Sales wider und lassen Sie mich hinzufügen, den Geist des heiligen Benedikt.
Außerdem ist ihre Form sehr glücklich. Je nach der Beschaffenheit der Zuhörerschaft nimmt sie verschiedene Abstufungen an. Neben Seiten einer ganz vertrauten Einfachheit gibt es viele Merkmale einer sehr edlen und mitreißenden Beredsamkeit.
Daher sind diese verschiedenen Folgen der Exerzitienvorträge berufen, nicht nur den Seelen viel Gutes zu tun, die sich der Ordensvollkommenheit widmen, sondern auch den Christen, die danach verlangen, in der Welt ein Leben zu führen, das mit unserem Herrn mehr verbunden ist.
Vor allem für die geistige Familie des hochwürdigen P. Brisson werden diese Sammlungen mehr sein als eine köstliche Erinnerung. Sie werden eine Anregung bleiben, immer darauf bedacht, den idealen Eifer in dieser noch jungen und schon so blühenden Kongregation aufrecht zu erhalten und zu steigern, der er mit einem ganz väterlichen Schwung das Beste seines Geistes und seines Herzens gab.
Das ist der innige Wunsch ihres in Demut ergebenen

P. Laurent Janssens OSB, Abt von Mont-Blandin

Perugia, Kloster der Oblatinnen des heiligen Franz von Sales, Oktave der Unbefleckten Empfängnis, 1916.