12. Ansprache zur Aufnahme in das Noviziat am 08.01.1888.
Liebe Kinder, heute kommt ihr, um dem Herrn zu beteuern, dass ihr euch ausliefern wollt ohne Grenzen und ohne Vorbehalt. Ihr übergebt ihm nicht nur eure Liebe und euer Herz, sondern euer ganzes Leben, euren Opfertod. Mit ihm zusammen wollt ihr alles tragen, wozu er euch zum Heil der Seelen in all euren Beziehungen zu den Gläubigen bestimmt. Ihr kommt, mit ihm zusammen die Last des Tages und der Hitze zu tragen, die Prüfungen des Lebens, die Leiden, alles, was euch begegnet alles, was euch gegen die Natur geht und diese zum Absterben bringt. Ihr macht somit einen großen Schritt. Dazu braucht ihr aber grenzenloses Vertrauen zu Gott. Ihr gebt euch ihm mit verbundenen Augen und gefesselten Händen hin: Herr, deine Hand soll mich führen, deine Stimme mir den Weg weisen. Deinem Willen und deinem göttlichen Wohlgefallen übergebe ich mein Wollen, mein Wünschen, meine Leidenschaften. Das also ist der Schritt, den ihr heute macht. Mag Gott euch zu Handarbeit rufen, zum Apostolat, zur Wissenschaft oder zur Geistesarbeit, das ist von untergeordneter Bedeutung. Mag es sein, was immer es will, ihr kümmert euch mehr um euer eigenes Wollen und Empfinden, beunruhigt euch über nichts. Für euch gibt es nur noch einen Anreiz, ein Wort: Das Wohlgefallen Gottes. In Gott spielt sich euer Amt mit seinen Pflichten ab, in seinem Gefallen und seinem Wollen. Und in dieser seelischen Verfassung sollte heute schon euer Leben ablaufen: Ihr, meine Kinder, die ihr heute beginnt, wir, die wir fortfahren, haben alle nur das eine Ziel, einen einzigen Weg: Die Erfüllung des Willens Gottes. So hat es unser guter Meister gehalten: „Meine Speise ist es, den Willen meines Vaters zu tun.“ Für diesen Weg stehen euch starke Stützen zur Verfügung. Gott ruft euch nicht, um euch dann in die Wüste zu verstoßen, an einen Ort der Verlassenheit zu verweisen. Hört seinen Anruf. Der Klang seiner Stimme ist sanft und gütig: Ich werde dein Führer auf dem Weg sein. Er will uns anführen. O liebenswürdiger und sicherer Lenker! Wir wollen uns ganz deinen Händen überlassen. Hat unsere Mutter, die Gute Mutter Maria Salesia, uns nicht gerade diese Lektion erteilt? Hat sie nicht selbst im Lauf ihres Lebens so gehandelt? Hat sie nicht auf diese Weise begonnen, fortgefahren und vollendet? Sie hörte auf das, was der Herr ihr sagte, und sprach dann immer ihr großes Ja, ein weder erzwungenes noch geteiltes Ja, sondern ein spontanes und vollständiges. Das ist es, was man ihren „Weg“ nennt, den Weg, auf dem auch wir vorangehen sollen: „Ich bin der Weg.“ Dein Wort, Herr Jesus, dein Beispiel, deine innerste Gnade, das ist unser Weg. Dir sei unser Opfer für immer geweiht! Bleib bei uns, Herr, denn es wird spät und Finsternis bedeckt die Erde. Ja, ohne dich herrscht Dunkel und Unruhe, die Versuchungen klopfen an unsere Tür. Mit dir aber kommt uns Licht und Friede. Und wenn du wie beim Sturm auf dem See schlafen solltest, wecken wir dich mit lauten Rufen, und du wirst auch uns die Antwort geben: Menschen mit kleinem Glauben, warum habt ihr Angst? Und dann kehrt wieder Ruhe ein.
Beginnt euer Noviziat auf diese Weise, denn so ist es gut, das ist etwas Ganzes und Wahres, das ist das Leben selbst. Alles übrige ist nur Zubehör und Zusatz: Darin besteht der ganze Mann Gottes, der ganze Oblate des hl. Franz v. Sales, der ganze Sohn der Guten Mutter Maria Salesia, alles, was absolut, wahr und komplett ist. Dafür heißt es aber demütig und klein sein. Das kleine Kind, das sich an der Hand der Mutter festhält, ist misstrauisch und riskiert nichts. Geht auch ihr kein Risiko ein, sondern tut alles allein mit Gott und eurem Direktorium, mit der Guten Meinung und der Reinheit der Seele unter den Augen Gottes!
Auf euch allein gestellt würdet ihr zu Fall kommen, seid ihr zu schwach, euer ganzes Tun wäre ohne ihn tot, euer Wirken bliebe ohne Einfluss auf die Seelen. Haltet euch darum eng an den Meister: „Herr, wir können es nicht.“ Herr, wir haben versucht, den Teufel auszutreiben, haben es aber nicht vermocht. Die ganze Nacht haben wir uns geplagt. Herr, wir haben ohne dich geschafft, doch es war Nacht und Finsternis, und wir haben nichts gefangen. Wir wollen also gut verstehen, dass wir auf uns gestellt nichts sind und das Maß unseres Könnens dem Maß unseres Nichts entspricht. Da, wo der Herr nicht ist, herrscht das absolut Nichts. Fürchtet also, euch allein zu mühen, fürchtet euch vor den Werken eurer eigenen Hände. Schafft immer nur mit ihm zusammen, unter seinen Augen, auf seinen Befehl, aus Gehorsam. Dann ist er zugegen, arbeitet mit uns Hand in Hand, und unser Werk wird göttlich. So müssen wir es halten, nicht nur als Einzelpersonen, sondern auch als Kongregation. Möge unsere Gemeinschaft immer klein bleiben und niemand sehen, dass sie sich durch Leistung hervortut. Wir wollen uns wegen nichts rühmen, da wir ja auch nichts sind. Lassen wir unsere Seelen in diesem Nichts verweilen, dann kann der Erlöser sie nützlich für die Bedürfnisse der hl. Kirche einsetzen. Wenn wir ihn Meister sein lassen, gefällt er sich darin, in unser Herz das einzupflanzen, was in seinem göttlichen Herzen ist, in unsere Hände die Gnaden zu legen, die seine Hände austeilen wollen. Berg euch hinter seiner göttlichen Person und versucht nichts anderes. Das ist der Weg. Fasst heute diesen Beschluss, wo ihr das Noviziat beginnt, damit ihr die Worte des Engels verwirklicht: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden guten Willens. Die Ehre Gottes bezieht sich auf den Himmel, das Leibgedinge der Erde ist der Friede, die Ruhe, die Fehlanzeige, das Schweigen. Ehre erweisen wir Gott, wenn wir einmal im Himmel sind. Dann essen und trinken wir, wie die Hl. Schrift sagt, dann feiern wir ein großes Festmahl. Auf Erden aber waltet Friede und Schweigen, der Friede, den uns die Engel sangen. Das heißt es zu verstehen. Und noch einmal, das ist die Wahrheit, denn in der Kleinheit, der Demut und dem Herzensfrieden liegt unsere Stärke und Macht. Begreift das gut als Einzelwesen wie als Mitglieder der Genossenschaft.
Betet heute für den Hl. Vater, die Prälaten, und alle Menschen, denen wir die glückliche Approbation unserer Kongregation verdanken. Seien wir dankbar! Bitten wir Gott, er möge unbegrenzt denen geben, die auch uns unbegrenzt gegeben haben. Verharren wir in unserer Kleinheit und Niedrigkeit und lassen wir den Erlöser schaffen, damit uns sein Segen sicher sei, und wir in Wahrheit seine Freunde sein. Alles, was der Vater mir gibt, gebe ich euch weiter. Gehen wir also mit Mut und Sicherheit voran. Der Herr ist mit uns, jetzt und heute und in Ewigkeit, so hat er gesagt. Amen.
