4. Vortrag: Das Äußere des Oblaten
Der hl. Franz v. Assisi sagte eines Tages zu Bruder Leo, seinem treuen Begleiter: Lasst uns predigen gehen! Dieser gibt dem hl. Franz seinen Stock und dann gehen sie durch die Straßen von Assisi, ohne ein Wort zu sprechen. Bruder Leo fragt bei der Rückkehr den hl. Franz: „Wann wollen wir denn predigen?“ „Die Predigt ist schon gehalten“, antwortete dieser. „Und wer hat sie gehalten?“ „Du und ich, während wir durch die Straßen gingen…“ Bruder Leo war ein vortrefflicher Mann, aber noch nicht genügend übernatürlich, darum verstand er nicht sofort. Erst nach der Erklärung des Heiligen ging es ihm auf, dass ihr gesammeltes und abgetötetes Äußere gepredigt hatte. Ich ganze Haltung und Art, sich zu geben, flößten den Vorbeigehenden Glauben und Frömmigkeit ein. So müssen auch wir durch unsere ganze Art zu sein und zu leben, durch unser Gehabe und unsere Haltung predigen.
Stützen wir deshalb in der Kirche oder Kapelle unsere Ellenbogen nicht auf den Betstuhl, wenn wir nicht sehr müde sind, sondern legen wir einfach unsere Hände auf die Stütze des Betschemels. Halten wir unseren Körper aufrecht in einer Haltung der Ehrfurcht. Vermeiden wir es, unser Kinn oder unseren Kopf in die Hände zu legen, oder eine zu gebeugte Haltung einzunehmen, die komisch wirkt. Ein bisschen geneigt ist freilich besser als allzu steif und gerade. Unsere Haltung sollte Glauben einflößen und Ehrfurcht und Vertrauen verraten. Kreuzen wir darum weder Füße noch Beine. Gewiss ist das ermüdend, und lange Zeit kann man sich nicht so halten, besonders nicht am Anfang. Doch bei der Betrachtung, Messvorbereitung, der Danksagung, Beichte und Besuchung des Allerheiligsten sollten wir versuchen, diese Haltung zu wahren. Sitzen wir, dann sollten wir uns nicht mal nach rechts oder nach links neigen und nicht gelangweilt und gequält dreinschauen. Möchte unsere Haltung vor Gott und den Menschen immer vollkommen sein!
Bei der Krönung Karls V. hielten sich Pagen von 13 und 14 Jahren aufrecht vor dem Thron des Königs in vollkommener Bewegungslosigkeit. So standen sie eine lange Zeit da. Mehrere von ihnen fielen schließlich in ganzer Länge bewusstlos zu Boden, solch eine Gewalt hatten sie sich angetan. Sicher verlangt Gott von uns nicht, dass wir wie Statuen unbeweglich vor ihm halten. Solch eine rigorose Haltung fordert er nicht. Haben wir das Bedürfnis aufstehen, uns zu bewegen, uns zu setzen, so tun wir es, doch immer mit Anstand und einem abgetöteten Geist. Von der Haltung kann man dasselbe sagen wie vom Wasser: Die beste Haltung ist die, die in keiner Weise auffällt. Die Gute Mutter pflegte zu sagen: Ich habe keinen Wunsch. Dürfte ich aber einen haben, würde ich liebend gern die Oblaten sehen… Man wird ja den Herrn und Erlöser in ihnen wieder auf Erden erblicken… O wie schön das sein wird!
Habt ihr eine liturgische Funktion vorzunehmen, eine Prozession zu leiten, den Kirchgängern in der Kapelle ihren Platz anzuweisen, macht alles mit Würde und ohne zu schreien und ohne zu gestikulieren…
Bei Tisch: Unser Herr speiste mit Pharisäern, bei Lazarus und anderswo… Es ist das eine göttliche Handlung, ein Mahl einzunehmen. Auch hier sollten wir Oblaten des hl. Franz v. Sales sein. Nehmen wir nicht die Manieren an, die heutzutage üblich sind und von Ungeniertheit und schlechter Erziehung zeugen. Manipuliert nicht mit dem Besteck, wie die Chinesen mit ihren Stäbchen ihren Reis essen. Ich erlaube mir, euch das zu sagen, weil ihr Ordensleute seid. Haltet euch peinlichst genau innerhalb der Grenzen einer soliden Höflichkeit. Stützt euch nicht mit den Ellenbogen auf den Tisch wie es Handelsreisende im Wirtshaus tun. Meidet allzu vertrauliche und besonders ordinäre Sitten, gebt euch gleichwohl frei und ungezwungen. Auch der hl. Stifter vermied alle Künstelei. Die Höflichkeit will, dass man sich nicht lange bitten lässt, wenn man etwas nehmen soll oder will. Will man von etwas nichts mehr nehmen, dann lasse man nicht seinen Widerwillen merken. Erbauen wir immer jene, die um uns sind.
Und besonders stehen wir nie vom Tisch auf, ohne uns irgendwie abgetötet zu haben, wie es schon der hl. Stifter empfiehlt. Eine winzige Kleinigkeit genügt schon, und wäre es nur ein Bissen Brot.
Ich habe in der Großen Kartause einen heiligmäßigen Mönch gekannt, der ein Mann des inneren Gebetes geworden ist, weil er immer treu diese kleine Abtötung bei Tisch im Refektorium geübt hat.
Nehmen wir an einem Festmahl teil, dann sollen wir annehmen, was man uns anbietet, wenn es uns Freude macht. Vermeidet es aber, zu zeigen, dass ihr für dies und das eine Vorliebe habt. Weltleute merken das schnell… Auch die Weltgeistlichen urteilen streng über anwesende Ordensleute. Stellt bei Tisch keine Fragen bezüglich der Gastronomie und nehmt nicht an Diskussionen Teil über die Vortrefflichkeit dieses oder jenes Gerichtes, dieses oder jenes Weines… Man kann, wenn dies nötig und schicklich ist, ganz einfach und liebenswürdig seine Wertschätzung äußern über das, was man isst und trinkt, ohne aber den Eindruck erwecken zu wollen, man sei Fachmann auf dem Gebiet. Tun wir wie unser Herr es hielt in den Tagen seines sterblichen Lebens. Eure Kleidung sei vor der Außenwelt geziemend und sauber. Der hl. Chrysostomos sagt irgendwo, unser Herr habe eine bewundernswerte Reinlichkeit zur Schau getragen. Darum sollten Priester und Ordensleute in ihrem Äußeren ebenso sauber und reinlich wie unser Herr sein. Sollen wir das Beffchen tragen? Ich möchte nicht, dass ein Oblate in Gesellschaft anderer Priester eine Ausnahme macht. Warten wir noch ein bisschen ab: Wenn unsere Gemeinschaft größer wird, werden wir sicher das Beffchen durch den römischen Kragen ersetzen. Das wäre dann einheitlich und würde uns mehr Rom angleichen. In einigen Diözesen könnte es jetzt schockieren, wenn man uns ohne Beffchen sähe. Anderswo hingegen ist es belanglos und erregt keine Unzufriedenheit… Darüber: „Non est lex.“ (Anm.: „Es gibt kein Gesetz.“). In jedem Haus möge dies der Obere nach seinem Urteil und den örtlichen Gewohnheiten regeln.
In unseren Beziehungen zu den Weltmenschen soll man sich vor größeren Verstößen gegen Höflichkeit, gute Sitten und Schicklichkeit in Acht nehmen. Es wäre nicht schlecht, von Zeit zu Zeit in einem christlichen Anstandsbuch zu lesen, damit wir von Verkehrtheiten bewahrt bleiben, die Weltmenschen, vor allem Frauen, sofort bemerken. Das verletzt sie sehr, haben sie doch viele Mühe aufgewandt, die guten Sitten für sich selbst zu studieren. Das war ihnen wie ein Mathematikkurs für uns. Auch ihren Kindern bringen sie mit viel Sorgfalt diese Dinge bei. Verletzen wir sie darum nicht und benehmen wir uns tadellos gegenüber Männern, Frauen, jungen Mädchen, Greisen, Arbeitern, etc. Bischof Dupenloup sagte zu seinen Priestern: „Bleibt euch selbst treu, seid gute Priester, dann seid ihr die höflichsten Menschen der Welt. Fragt allein eure Nächstenliebe um Rat. Höflichkeit ist im Grund nur das Opfer der eigenen Persönlichkeit.“ Es gibt gleichwohl Sondergewohnheiten, die man kennen muss. Ihr seid es nicht gewohnt, in solch einem Milieu zu leben, darum muss man in dem oder jenem Anstandsbüchlein nachlesen. Und das alles, meine Freunde, dass wir wahrhaftige Abbilder unseres Herrn werden, der mitten in der Welt lebte. Beseelen wir diese Regeln der Höflichkeit mit der wahren Liebe, mit übernatürlichen Gedanken und der Guten Meinung.
Noch ein Wort über Art und Weise, wie wir uns in verschiedenen Umgebung verhalten sollen.
Wir befinden uns zum Beispiel bei Leuten, die weder Glauben noch Gesetz kennen. Sie greifen die Religion an und lästern über unseren Herrn Jesus. Was tun? „Jesus autem tacebat.“ (Anm.: „Jesus aber schwieg.“). Tun wir desgleichen. Unser Schweigen wird mehr sagen als alle anderen möglichen Gegengründe erreichen würden. Halten wir uns andererseits bei unwissenden Menschen auf, die nur aufgeklärt werden möchten, dann tun wir es in aller Einfachheit und Künstelei. Profitieren wir vom Ort, an den uns die göttliche Vorsehung hingestellt hat und ihre hl. Absichten dafür hatte. Hier z.B.. in St. Quen geht ihr auf der Terrasse hin und her. Da seht ihr den Kirchturm von Argenteuil, wo der Leibrock unseres Herrn, mit Blut bespritzt, verehrt wird. Ich denke da an das, was mir Herr M.J. Roussel diesbezüglich schrieb: „Während ich diese kostbare Reliquie studierte auf Befehl des Erzbischofs die Blutflecken analysierte, dachte ich unablässig an Sie, Herr Pater, und an die Oblaten…“ Dieses Wort hat mir die größte Freude bereitet: Das Blut unseres Herrn erinnerte ihn an die Oblaten…
Fühlt ihr euch in der Einsamkeit verlassen? So bittet unseren Herrn, dass ihr die Gnade, mit ihm allein zu sein, versteht und schätzt. Ihr wohnt in einer eifrigen Kommunität. Denkt da an all die guten Beispiele der anderen, verbindet euch mit den besten eurer Mitbrüder… Macht ihr eine Wallfahrt zu einem geschätzten Heiligtum, dann belebt euren Glauben und eure Frömmigkeit und schöpft ausgiebig aus dem Schatz der Gnaden. Seid ihr unterwegs auf Reisen, geht nie an einer Kirche vorbei, ohne unseren Herrn zu grüßen und die geistliche Kommunion zu empfangen. So lernt man, den Herrn nie zu vergessen und ihn anzubeten. Auf diese Weise vermeidet man auch viele Gefahren. Bei der Feier der Übergabe eines Skapuliers an ein neues Mitglied wird gesagt: „Det tibi Dominus locum bene agendi.“ (Anm.: „Gott gebe Dir einen Ort, wo du Gutes tun kannst.“). Der Ort hat nämlich einen mächtigen Einfluss auf die Seele und das übernatürliche Leben. So gehe auch der Oblate des hl. Franz v. Sales in großer Einfachheit seinen Weg ganz gerade wie unser Herr, von dem es heißt: „Jesus autem ibat…“ (Anm.: „Jesus ging vorüber, voran.“). Schreiten wir auch voran wie er… In unserem Herzen muss etwas sein, was uns an den Herrn, an Gott bindet. Darin liegt unser Leben und unser Glück beschlossen.