Exerzitienvorträge 1891

      

5. Vortrag: Die drei Gelübde.

Während dieser Exerzitien habe ich eure Aufmerksamkeit auf gewisse wichtige Punkte gelenkt, die wir als das Fundament unseres Institutes betrachten sollten. Aber da ist ein großes Hindernis auf dem Weg der Verwirklichung der Dinge, die ich euch da vorgelegt habe. Nachdem Bousset den Großen dieser Welt, den Königen, auch den Ordensleuten, überhaupt allen Menschen, in beredten Worten ihre Pflichten auseinandergesetzt hatte, warf er am Ende seiner Karriere einen Blick auf alles, was er verteidigt, auf alles, was er von anderen gefordert hatte, und rief: „Oh, da ist ein großer Feind, der sich all meinen Anforderungen an euch entgegensetzt: Der hl. Apostel Johannes hat ihn aufgezeigt, wenn er sagt: Drei Begierden leben im Menschen: Die Fleischeslust, die Augenlust und die Hoffart des Lebens. Diese sind von Natur her die stärksten und unbeugsamsten Gegner, die uns hindern, das auszuführen, was ich euch vorgeschlagen habe.“

In der Tat führt er in seinem letzten Sermon, nur einige Notizen aus, dass der Feind alles Guten, der erbittertste Feind der Menschenseele sich gerade in diesen drei Begierden verbirgt. Von jeder gibt es eine sehr kurze, aber lebhafte Charakteristik, einen Steckbrief, um zu zeigen, welche Macht ihnen innewohnt, um all das zu zerstören, was zum Gesetz Gottes gehört: Kirche, Ordensstand…

Die Ordensleute bekämpfen, wie er sagt, wirksam diesen Feind mit Hilfe ihrer drei Gelübde: Der Stolz wird bekämpft und besiegt durch das Gelübde des Gehorsams, die Fleischeslust durch das der Keuschheit und die Augenlust durch das der Armut.

Ich möchte daher über diese drei Gedanken einige Worte sagen. Das kommt uns sehr gelegen, weil unsere Patres ihre Ordensgelübde ablegen und einige sich für immer unter das Banner des hl. Franz v. Sales scharen und in der ersten Linie marschieren wollen, um tapfer die Schlachten Gottes im Ordensstand zu schlagen….

Die Hoffart des Lebens. In der gegenwärtigen Stunde will jeder unabhängig sein: „Non serviam.“ (Anm.: „Noch will ich nicht dienen.“). Dies Wort schallt überall wieder. Es wurde zunächst von Satan gesprochen, und die Kinder des Satans wiederholen unablässig das Wort ihres Vaters. Die Kinder Gottes aber lassen sich nur allzu oft fortreißen, im gleichen Sinn zu sprechen: „Non serviam!“ Die Liebe zur eigenen Person, der Stolz, die Eigenwilligkeit gehen manchmal weit, sehr weit, bis zur Sünde. Das Gelübde des Gehorsams soll da in uns die Flamme der Sünde zum Erlöschen bringen. Die Hoffart des Lebens bringt in uns nie Gutes hervor. Riskieren wir keinen Schiffsbruch! Greifen wir nach der Hand, die sich da ausstreckt, um uns zu retten.

Entrichtet Gott darum das Gelöbnis ewigen Gehorsams. Der Gehorsam ist gut, wenn er keine Einschränkungen macht, wenn er nicht feilscht. Die Gute Mutter pflegte zu sagen: „Man muss als entschlossene Menschen gehorchen!“

Der Gehorsam sollte immer einfach und gerade sein, ohne Wenn und Aber, ohne Verzug. Und das ist schwer. Wenn ihr es versuchen wolltet, würde die Schwierigkeit mehr und mehr schwinden. Der Gehorsam würde gut und angenehm, er gäbe euch Ruhe und Sicherheit. Gehorcht darum entschlossenen Sinnes. Der entschlossene Mensch geht sofort und ohne Verzögerung auf das Ziel los. Ist man unentschlossen, dann zögert und schwankt man und sucht das Bessere. Können wir uns zum Gehorchen nicht entschließen, dann meinen wir, das, was wir selber wollen, ist vielleicht doch besser als die befohlene Sache. Und dieses Gefühl ist sehr schwer zu überwinden. Haben wir doch Vertrauen in die Tugend des Gehorsams und die Gnaden des Ordenslebens. Gehorchen wir immer entschlossenen Mutes. Handeln wir unserem eigenen Wollen entgegen, dann erzielen wir als Resultat weit Besseres als was wir mit unserem eigenen Willen angestrebt hätten.

Der Ordensmann, der übernatürlich gehorcht, steht über seiner Natur und vereinigt sich mit Gott. Und Gott wirkt in ihm. Gebt euch bedingungslos dem hin, was der Gehorsam von euch verlangt. Ihr erlangt besser und vollkommener, als ihr zu erlangen wünscht, da Gott selbst es euch gibt. Sollt ihr gehorchen, weil der Obere klüger ist, weil seine Mittel besser sind als die Euren? Nein, natürlich gesprochen sind eure Mittel besser, ich will es zugeben. Natürlicherweise habt ihr recht. Doch ihr habt euch zum Gehorsam entschlossen. So stimmt auch zu, nicht mehr recht zu haben. Stellt eure Vernunft hinter den Gehorsam, hinter das Wort Gottes zurück. Dann setzt ihr einen Akt von unendlichem Verdienst. Wer zum Martyrium geht, ist heroisch. Ihr geht auch zum Martertod eures Eigenwillens. So gewinnt auch ihr zum Himmel, d.h. zur höchsten Belohnung, die Gott gewähren kann. Gott segnet euren Gehorsam!

Ich weiß sehr wohl, dass ein so verstandener Gehorsam eine ungewöhnliche Leistung ist. Das sieht man im Leben der Heiligen. Lesen wir nur darin, wir tun es zu wenig. Lest das Leben der Wüstenväter durch, die Jahrbücher von Citeaux, den hl. Bernard. Denkt an die Lehren des hl. Hieronymus. Für all diese war es ein Glaubenssatz, dass man jede Macht durch den Gehorsam empfängt und man durch ihn unter den besten und günstigen Bedingungen wirkt.

Als unser Herr die Apostel um sich geschart hatte, sagte er: „Das Himmelreich ist gleich einem Senfkorn, gleich dem Sauerteig, gleich dem Weizenkorn.“ „Herr“, sagten die Apostel, „du sprichst immer in Gleichnissen zu uns. Wir verstehen nicht.“ Der Sinn, den unser Herr mit diesen Gleichnissen verband, verlangte genau, dass sie auf ihr eigenes Urteil, ihre Art zu sehen, die auf ihre feststehenden Ansichten verzichten mussten. Der Herr besaß jede Lehrvollmacht, um die Menschen zu lehren. Man musste ihm Glauben schenken. Wenn wir Apostel mit so viel Schwierigkeiten kämpfen sehen, um das zu verstehen, dürfen wir uns nicht wundern, dass auch wir so viel Mühe haben, es zu begreifen. Gehorcht also, und Gott wird mit eurem Gehorsam, der euch so viel kostet, eine Gnade, eine unendliche Gnade verbinden.

Man sieht Ordensleute Armut und Keuschheit üben, den Gehorsam jedoch nur in gewissen Punkten. Den vollständigen, uneingeschränkten Gehorsam sieht man nur sehr selten. Denn dazu bedarf es eines großen Mutes. Übt euch darin! Ich sage nicht, ihr sollt es auf einmal schaffen, gleich zu Beginn schon vollkommen handeln. Ich sage vielmehr, übt euch darin ein, setzt Akte des Verzicht.

Die Augenlust, die Liebe zum Reichtum wird durch die Armut bekämpft. Seid darum immer arm. Liebt sie, liebt das, was ein bisschen entblößt. Für sich nichts besitzen ist schwer und der Natur hart. Machen wir uns arm aus Liebe zu unserem Herrn. Suchen wir nicht die Armut seines öffentlichen Lebens, seiner Predigttätigkeit, denn da hatte er nichts, wohin er sein Haupt legen konnte. Suchen wir vielmehr die Armut von Nazareth, wo er von seiner Hände Arbeit lebte, wo es nichts Überflüssiges gab und sehr vieles fehlte. Wenn wir aus Liebe zu ihm viele kleine Verzichte machen, um ihn nachzuahmen, wird er Wohlgefallen an uns haben. Wir kleiden uns nicht nach unserem Geschmack, wir speisen nicht es uns gefiele. Unsere Zellen sind nicht recht gemütlich. In der Freizeit leiden wir so manche kleinen Unterwerfungen und wahren den ganzen Tag über das Schweigen, eine Quelle beständiger Abtötung… All diese kleinen Praktiken, denen wir ständig bei der Erfüllung unseres Gelübdes der Armut begegnen, heißt es mit Liebe sammeln. Seid delikat, wenn ihr um Erlaubnisse und Dispensen auf dem Gebiet der Armut nachsucht. Unterzieht euch lieber den Verzichten. Dann habt ihr eine Garantie, dass Jesus mit euch ist, in euren Händen ruht und mit euch arbeitet.

Franz v. Assisi hat seinen Mitbrüdern kaum eine andere Lebensregel gegeben als die der Armut. Die Armut macht für sich allein einen Ordensmann vollkommen. Die Familie des Armen von Assisi ist zahlreich geworden wie die Sterne des Himmels und die Sandkörner im Meer. Kein anderer religiöser Orden hat zahlreichere Schösslinge hervorgebracht als der Orden des Armen Franz.

Praktiziert sorgfältig alle Betätigungsmöglichkeiten der Armut. L. P. Normand sammelte in der Großen Kartause mit unvergleichlicher Sorgfalt einige Johannisbeeren auf einem Blatt Papier. Seht doch, wie lächerlich diese Ordensleute sind, mag ein oberflächlicher Geist sagen. „Ich aber sammle sie sorgsam aus Liebe zur hl. Armut“, sagte dieser hl. Kartäuser.

Die Begierde des Fleisches findet ihr Heilmittel in der Übung des Gelübdes der Keuschheit. Dieses liebenswürdige Gelübde ist kostbar, schneidet kurz alle Versuchungen, alle Einflüsterungen ab. Noch mehr: Es bemächtigt sich der Schläge unseres Herzens und übergibt die Seele ohne Einschränkung an Gott.

„Beati mundi corde, quoniam ipsi Deum videbunt.“ (Anm.: „Selig, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.“): Die das Herz rein halten, die keusch sind, werden Gott in vollem Maße schauen, nicht erst im Himmel, sondern schon hier auf Erden. Auf der einen Seite finden wir im Keuschheitsgelübde einen allerhöchsten Schutz, auf der anderen eine unbegrenzte Befriedigung. Die Keuschheit bereitet sicherlich, wie der Gehorsam, keine geringe Schwierigkeit. Man muss damit rechnen, dass es da schwere Kämpfe zu bestehen gibt, vor allem gewisse Vorstellungen bei bestimmtem Temperament und Veranlagung. Bedeutet das, dass solche Menschen nicht zum Gelübde der Keuschheit berufen sind? Weit gefehlt! Meine lange Erfahrung zeigt mir, dass derlei Kämpfe und Neigung zum Bösen in keiner Weise bewiesen, man sei nicht zu diesem Gelübde berufen. Im Gegenteil, ich bleibe fest überzeugt, dass er gerade jene von Gott zu diesem Gelübde gerufen werden, die viel mehr versucht werden, als andere. Gott lässt das zweifelsohne zu, damit das Gelübde mehr Verdienste einbringt: „Juge sacrificium.“ (Anm.: „Ein beständiges Opfer.“). Die Keuschheit dieser Seelen ist ein Opfer, das nie erlischt, weder morgens noch abends. Weder am Tage noch in der Nacht, wirklich ein ununterbrochenes Opfer. Gewiss fällt dieses Gelübde, das möchte ich gleich hinzufügen, Gott sei Dank nicht immer so schwer. Aber selbst dann heißt es wachsam und klug sein. Das Feuer verbirgt sich unter der Asche und kann jederzeit wieder hochschlagen. Halten wir immer gut Wache und achten wir darauf, alles zu entfernen, was Gefahr bringen und die Versuchung vermehren könnte. Es ist darum durchaus ratsam, dies Gelübde abzulegen. Ein für allemal wird da die Versuchung kurz abgeschnitten. Die Sache ist für immer entschieden. Du setzt eine Mauer zwischen dich und den Feind. Du kannst nicht mehr auf die andere Seite überlaufen. Es fällt dir ja nicht schwer, auf deiner Seite zu verharren.

Bereitet deine Keuschheit also Mühen und Ängste, verliere nie den Mut. Das ganze Herz Gottes antwortet dir auf den verzweifelten Appell, den du an ihn richtest. Die Liebe eines Vaters eilt zur Hilfe herbei, wenn er die Stimme seines Kindes vernimmt. Wir geben ihm Gelegenheit, sich zu offenbaren und spüren zu werden. Und das umso mehr, je stärker und furchtbarer die Versuchung war.

Nur nicht den Mut verlieren. Doch auch nicht entgegengehen darfst du der Versuchung. Lass es dir nicht einfallen, dich in einen Nahkampf mit ihr einzulassen. Die heroischen Kämpfe gewisser Heiliger sind nichts für uns. Wir suchen nicht den Kampf und empfinden keine Befriedigung, da die Hl. Schrift selbst sagt: „Quasi a facie colubri fuge peccatum.“ (Anm.: „Fliehe die Sünde wie eine Schlange.“). Überwacht euren Geist, eure Sinne, euer Herz, damit sie sich nicht auf die abschüssige Bahn begeben und dem Trieb der Natur erliegen. Und noch einmal: Kein Grund zur Beunruhigung und Resignation! Denken wir immer an das Wort des hl. Paulus: „Ter Dominum rogavi“, ich habe drei Mal zum Herrn gerufen, er möge mich befreien von der Versuchung. Der Herr aber gab mir nur das zur Antwort: „Sufficit tibi gratia mea, nam virtus in infirmitate perficitur.“ (Anm.: „Es genügt dir meine Gnade, denn die Kraft kommt in der Schwachheit zur Vollendung.“), die Tugend wird stark und nimmt zu in der Versuchung. Die Seelen, die die Keuschheit geloben, gleichen und dem hl. Johannes: Sie ruhen am Herzen Gottes. Es sind Engel in sterblichen Leibern. Wie Engel stehen sie vor Gott und beten ihn an. Möge dies Gelübde euer Ruhmeslied sein an Gott und der Gegenstand einer ganz auserlesenen Liebe.

Eure Gelübde werden somit, meine Freunde, für euch das Mittel, über das große Hindernis, das die Erbsünde in euch aufgerichtet hat, zu triumphieren. Es ist die Antwort auf jeden Vorstoß des Teufels, eine Waffe, um jeden Angriff zurückzuschlagen. Sagt also nie: „Non serviam.“ (Anm.: „Ich will nicht dienen.“), sondern: Immer will ich dir dienen, mein Gott. Nicht schwach werdet ihr sein, sondern die göttliche Stärke besitzen. Der Dämon des Stolzes hat bei euch nichts zu gewinnen. Wenn die Tage der irdischen Pilgerschaft für euch vorbei sind, wenn die Dinge des Diesseits alle Anziehungskraft verloren haben, dann werdet ihr einen Blick auf euer Kreuz werfen, werdet Gott lobpreisen und ihm danken, dass er zwischen euch und der Welt, zwischen euch und der Sünde eine unüberschreitbare Barriere aufgerichtet hat. Eure Seele wird zufrieden sein, ihr werdet das Böse, das ihr vermieden habt, sehen, sowie das Gute, das ihr dank eurer Gelübde gewirkt habt. Ihr werdet diese eure Fesseln preisen. Wie der hl. Paulus zu den ersten Christen werdet ihr sprechen: „Ich wünsche euch dieselben Ketten wie ich sie trage, es sind die Bande Jesu Christ, die mich ihm ähnlich machen.“

Wir wollen fest für euch beten, meine Freunde, und ihr betet für uns. Euer Eifer möge unsere erkalteten Herzen erwärmen. Fasst frohen Mut und bittet Gott um die Gnade der Gelübde. Heute fühlen sich unsere älteren Patres (bei eurem Anblick) erneuert und verjüngt in ihrem religiösen Leben, im Eifer für die Seelen, in der Liebe zu Jesus Christus. Betet darum für uns alle, dass wir nach diesen Einkehrtagen vom lieben Gott für würdig befunden werden, mehr und mehr an seinem Werk weiter zu schaffen. Möge er einen Blick der Liebe auf uns alle werfen, die er zu Erben seiner Arbeit, seines Schweißes und seiner Leiden gemacht hat. Möge er uns das Paradies geben, den großen Lohn, der unser harrt. Also sei es, Amen!