Exerzitienvorträge 1890

      

3. Vortrag: Tue recht und scheue niemand (wörtlich: Gut machen und reden lassen)

Mehrere von euch halten ihre Einkehr sicher in Trockenheit und innerer Kälte. Wir müssen wohl verstehen, dass so verbrachte Exerzitien gut und ausgezeichnet sein können. Haben die Israeliten während ihrer vierzigjährigen Wüstenwanderung nicht mehr Beweise der Sorge und Zärtlichkeit Gottes erhalten als selbst im Gelobten Land?

Seid also zufrieden, auf diese Weise in der Wüste und Finsternis zu verweilen und keine Befriedigung für die Natur zu erhalten. Denn diese Dunkelheit und Dürre ist fruchtbar und bringt in euch große Wirkungen hervor.

Ich sage das nicht für euch allein, sondern auch für jene, die ihr zu führen habt. Darum beherzigt wohl die Lektion: Die Seele soll die Arbeit, die Gott in ihr in Zeiten der Gefühllosigkeit und Leere vollbringt, hoch einschätzen. Das sei eure Einstellung für die Seelenführung, und die Personen, die ihr führt, mögen gut erfassen, dass eine Seele in diesem Zustand dauernder Trockenheit vor Gott ganz groß dastehen kann, ja zu den größten des Himmels zählen kann. Das gilt besonders für die Exerzitien. Von gewissen Seelen abgesehen, die so bevorzugt sind, dass Gott sie sogleich auf den Tabor versetzt, es gibt solche sicher auch, macht die Mehrzahl der Menschen ihre geistige Einkehr eher in der Wüste als auf dem Berge Tabor.

Die Tätigkeit Gottes in einer Seele reicht sehr tief. Auch wenn man sie nicht sieht, greift sie mächtig zu, um uns loszuschälen, um uns zu lehren, dass wir auf menschliche Mittel wenig geben sollen, dafür umso mehr auf Gott bauen und vertrauen sollen, auf ihn allein und in vollem Vertrauen. Jedes Mal, wenn eure Seele Gottes Erwartungen entspricht, den Willen Gottes aufnimmt, wohnt Gott wahrhaftig in ihr, ist sie wirklich und intim mit ihm vereinigt.
Das hat ihr Opfer gekostet, um den Preis ihrer Mühen und Kämpfen nur ist sie dahin gelangt. Aber da ist sie sicher, Gott wahrhaftig gefunden und sich nicht getäuscht zu haben, indem sie die Kreatur anstelle des Schöpfers umarmt. Dieser Zustand der inneren Ausgedörrtheit ist also gut, sehr gut, weil er uns mit Gott vereint. Ich kann euch versichern, dass Schwester Maria Genovefa nie anders gemacht hat als so, und sie war doch eine sehr große Heilige. Ich betrachtete das in der Heimsuchung gern als ein Zeichen der Berufung, als das sichtbare Zeichen der Aktion Gottes in einer Seele.

Bewahrt darum diese Lehre. Es ist wichtig, sie gut zu begreifen, für sein eigenes Verhalten wie für das Heil der Seelen, und, wenn wir den Kreis erweitern, oft auch zum Verständnis der hl. Vorsehung in der Leitung der Kirche. Gott handelt oft, indem er auf die mehr oder weniger einsichtige Mitarbeit der Menschen verzichtet.

Welches also der Zustand eurer Seele auch in den Exerzitien sein mag, dankt Gott, preist ihn und seid eins mit ihm, wo immer er euch hintut! Und leidet ihr absolute Trostlosigkeit, bedenkt, dass ihr dennoch gute und vortreffliche Exerzitien macht. Wir sind doch Kinder Gottes. An ihm ist es also, uns Nahrung, Luft und Leben zu geben, wann und wie es ihm gefällt. All das empfangen wir aus seiner Hand. Nicht an uns ist es zu sagen: „Das und das brauche ich.“ Er weiß besser, was uns nottut, und er wählt väterlich aus, was uns im Einzelnen fehlt. Das ist, meine Freunde, eine Lehre, die wesentlich die des hl. Franz v. Sales und der Guten Mutter Maria Salesia ist. Das ist auch eine Wahrheit, die wir im Leben aller Heiligen angewendet finden. Mut also und große Treue! Mögen sämtliche Übungen der Exerzitien, auch ohne fühlbaren Geschmack und Anreiz, uns kostbar und heilig erscheinen! Durch sie ergreift Gott unsere Seele, das ist wie ein Sakrament der göttlichen Gnade.

Und noch einmal: Benutzt, was ich euch da sage, für die Seelenführung. Unter der Voraussetzung gehen die Seelen in Wahrheit auf dem rechten Weg. Es ist ein großer Irrtum zu glauben, man müsse während der Einkehrtage seine Phantasie stark beeindrucken, dem Willen heftige Kämpfe auferlegen, den Geist durch lange und tiefe Betrachtungen ermüden. Das ist eine schlechte Sache, es tut mir leid, das sagen zu müssen. Aber ich sage es, weil ich derlei Manieren noch nie Gutes hervorbringen sah. Denn hinterher kommen die Versuchungen und mitunter die Entmutigungen und die Fälle. Eine überhitzte Dampfmaschine explodiert und tötet alles in der Umgebung. Begreift darum wohl die tiefe Weisheit der Lehre des hl. Franz v. Sales.

Seid in den Exerzitien mit dem zufrieden, was Gott euch schenkt, mit dem Anteil, den er euch zuteilt. Verdemütigt euch vor ihm, dass ihr keinen Eifer habt, seinen Gnaden nicht entsprecht. Es gibt nichts Besseres als sich zu verdemütigen,  das ist Gerechtigkeit. Aber klagt nicht: „Ich bekomme nichts, Gott schenkt mir nichts, ich habe keine Exerzitien (- gnaden) erhalten…“

In den beiden ersten Vorträgen glaubte ich jedem Pater der Genossenschaft einen guten Rat geben zu sollen und ihm, wie unser hl. Stifter sagt, „ein Dokument zu liefern“, dem er allezeit für seine persönliche Führung folgen kann und soll. Wir nehmen als Devise: 1. Leidenschaftlich gut das tun, was wir zu tun haben, 2. Guten Mut zu haben. Das „Dokument“, das ich heute zur Verfügung stelle, betrifft eher die Gemeinschaft und die Leitung, der sie folgen soll. Und diese Urkunde lautet: Recht handeln und reden lassen (tue recht und scheue niemand). Möge dies die Generallosung all unserer Werke sein!

Was heißt „recht handeln“? Bedeutet es den Willen haben, gut zu handeln? Viele Menschen, die Gutes tun wollen, handeln aber schlecht… Recht handeln meint also: Gemäß dem Willen Gottes und dem Gehorsam entsprechend handeln. Man handelt immer gut, wenn man im Gehorsam gegen den Willen vorgeht, und jedes Mal, wenn ihr entgegen dem Gehorsam schafft, handelt ihr unrichtig, selbst wenn ihr Gutes tun wollt…

Recht handeln… Da gibt es eine Beobachtungen zu machen, die euch nicht entgehen konnte: Der hl. Franz v. Sales gründet und stützt das Gute auf das Gesetz. Er gibt das Gesetz als Regel des Guten an. Gewiss rät er uns, und am Gutes-tun der anderen zu erbauen, aber niemals nennt er das Beispiel der anderen das Motiv und den Grund für unser Handeln. Er rät uns wohl: Erbaut euch! Doch sagt er nicht: Tut nicht wie die anderen! Lest seine Schriften, ihr werdet darin nie diesen Gedanken finden. Auch fordert er uns nicht auf: Macht es wie der und der Heilige! Denn habt ihr überhaupt die Gnaden dieses Heiligen? Würdet ihr wie er tun und ihn nachahmen wollen, dann würdet ihr verkehrt handeln. Franz v. Sales stellt vielmehr das Gesetz als Beweggrund und Anlass eures Tuns auf, das damit ein Akt des Gehorsams wird.  Das Gesetz (Gebot) sagt: Das Gute ist die Konsequenz des Gesetzes, darum tut es. Ermuntert euch durch ihre guten Beispiele. Wenn es euch unterstützt, ist es sehr gut. Letztlich darf das aber nicht der Beweggrund für euer Tun und Lassen sein, und nicht deswegen wird es zur Tugend und gut. Ihr tut es, weil es das Gesetz Gottes und der Gehorsam zum Willen Gottes so will.

Diese Lehre des hl. Franz v. Sales ist tiefbegründet. Jede einzelne Seele hat ihre eigene Gnade. So wie niemand das gleiche Gesicht wie ein anderer hat, so weist auch niemand dieselben Gnaden auf. Jeder hat seinen eigenen Weg zu gehen. Die Heiligkeit besteht genau darin, dass wir auf dem Weg vorangehen, der der unsrige ist und auf den Gott uns gestellt hat. Und das ist der Gehorsam, was uns in Beziehung zu Gott setzt, damit wir von ihm jeden Schritt erfahren, den wir auf unserem Weg zu gehen haben. Der Ordensmann muss den Gehorsam zur Geltung bringen. Dieser Gehorsam unterdrückt keineswegs die Spontanität. Der eine Ordensmann liebt das Studium. Er darf durchaus diesen Zug zum Studium bezeugen und ihn dem Gehorsam unterwerfen. Der andere hat eine Vorliebe und Talent zum Predigen: „Ich gehe predigen!“ Das ist die Bewegung Gottes, und der Gehorsam wird sie ratifizieren, wenn die Bewegung wirklich von Gott kommt. Der Gehorsam oder vielmehr die Autorität der Oberen ist nicht dazu da, um die Funktion eines Auslöschers aller Lichter zu spielen, die Gott anzündet. Man tut darum immer gut, dem Gehorsam zu folgen. Dann wird das Gute mit Sicherheit gewirkt gemäß allem, was Gott von jedem von uns will und liebt. Verstehen wir gut diese Lehre. Das vorausgesetzt, könnt ihr dieses Prinzip auf jede Art von Amt verwenden, das man euch anvertrauen, jede Art von Sendung, mit der man euch beauftragen mag. Das Gute wird immer im Verhältnis zu der mehr oder weniger vollständigen Abhängigkeit stehen, die ihr beibringt.

Und reden lassen… Es besteht kein Zweifel, dass wir, wie es jeder Kongregation am Anfang geschieht, Blickfang, Gegenstand genauester Beobachtung zur Erbauung oder zur Auferstehung und zum Falle gewisser Seelen sind. Wir können die Prophezeiung des greisen Simeon auf uns anwenden.

Du bist Direktor eines Kollegs. Tu, was der Obere dir gesagt hat, und dann lass die anderen reden! Meine Freunde, wenn die Jesuiten am Beginn ihres Apostolates nicht die anderen hätten reden lassen, was wäre aus ihnen geworden? Wenn die Kartäuser seit 800 Jahren nicht all das, was man gegen sie vorbringen wollte, hätten sagen lassen, bestünde da in der gegenwärtigen Stunde noch eine Spur von ihnen? Nicht ein Jota der Regel des hl. Bruno ist verschwunden oder wurde hinzugefügt, selbst an ihrem Offizium. Wer nicht reden lässt, lässt sich beeinflussen. Wer sich beeindrucken lässt von der Kritik um ihn herum, lässt sich zerstören, und von seinem Werk bleibt nichts übrig. In dieser Stunde bestätige ich vor Gott und vor euch als sein Dolmetscher, als sein treuer und vollständiger Ausleger, alles, was ich euch vortrage, was die Satzungen verlangen, was das Direktorium lehrt und was das Gebräuchebuch, das wir zu seiner Zeit haben werden, euch zu tun sagen wird: All diese Dinge müssen bleiben, und zwar unberührt! Lasst die anderen reden! Es ist bereits genug geredet worden, besonders jetzt. Lasst sie weiterreden! …

Wen betrifft das aber? Wen soll man reden lassen? Da ist ein Ordensmann, der seine hl. Regel und die Oberen kritisiert, der anderes besser findet. Den darf man nicht reden lassen. Ihn sollte man zum Gehorsam zurückrufen. Lasst derlei Dinge niemals unter euch geschehen, das gebietet die Liebe. Da ist ein Pater, dessen Gemüt aufgebracht, dessen Kopf leidenschaftlich erregt ist. Er hat Dummheiten innerlich wie äußerlich produziert… Sollte er krank sein? In diesem Fall habt Mitleid mit ihm, irgendein Fieber quält ihn! Bringt ihn zum Schlafen und das Bett hüten, gebt ihm Gesundheitstee…! Ist er aber gar nicht krank, sondern wohlauf, dann umgebt ihn mit Liebe und Zuneigung. „Sie, Hausoberer, gewähren Sie ihm einige Erleichterungen… notfalls ein Gläschen Schnaps!“ Das wird ihn aufrichten und auf den guten Weg zurückführen und zur Vernunft bringen… Aber auch ihn sollen wir nicht einfach drauflos reden lassen.

Etwas anderes ist es bei Menschen, die der Kongregation fremd sind, wer immer das sein mag. Denn hier gilt: Recht tun und reden lassen. Ja, lasst alle reden, außer den Hl. Vater, der uns ausdrücklich bestätigt hat, dass wir richtig handeln. Weil die ganze Kirche durch ihre Approbation bezeugt hat,  dass wir richtig liegen. Liegt aber Stolz und Anmaßung in diesen Worten? Heißt es nicht, dass wir uns für unverwundbar und allen überlegen halten? Nicht im Geringsten! Jeder darf uns angreifen, wenn wir unsere Satzungen verletzen, unser Direktorium nicht halten, uns nicht um Gott und den Gehorsam kümmern, übel handeln. Halten wir uns aber gut, dann hat niemand das Recht, etwas gegen uns zu sagen. Und tut man es doch, dann sind wir unerschütterlich wie ein Fels und lassen die anderen reden, indem wir dem Gehorsam treu bleiben. Schaut nur die Heimsuchung an: Sie ist eine der schönsten Blumen im Garten der hl. Kirche. Hätte sie nach dem Tod ihres Gründers sich nach dem Gerede der Menschen gerichtet, auch ihrer besten Freunde, selbst der heiligsten Menschen, selbst der gelehrtesten Bischöfe, hätte sich von diesem hier, von jenem dort reformieren lassen, nichts wäre von ihr übrig geblieben.

Befolgt also treu eure Ordensvorschriften, übt treu euer Direktorium, folgt treu dem Gehorsam, und lasst im Übrigen die anderen reden! Beachtet wohl, meine Freunde, wie diese Weisung uns verpflichtet, wahrhaft Ordensleute zu sein. Wie muss unser Lebenswandel doch tadellos und frei von jeder noch so geringen menschlichen Rücksicht sein: Tue recht und scheue niemand!

Und mag man im Augenblick noch so klagen, dass alles ins Wanken gerate, nichts mehr standhalte: Häuser, Regierungen, alles drohe zusammenzustürzen… Warum denn das alles? Weil man keine Grundsätze zum Widerstehen, keinen Halt gegen die Stöße und Anremplungen von rechts und von links hat. Sobald man Gott loslässt, gibt es keine festen Grundlagen mehr, und alles bricht zusammen.

Was man auch um uns herum sagen und tun mag, halten wir eisern fest an unseren Grundsätzen. Jedermann kennt die Antwort, die nach dem Hörensagen der Jesuitengeneral dem Papst kurz vor ihrer Unterdrückung gab: Der Hl. Vater sagte: „Vielleicht, wenn die Gesellschaft Jesu einige Änderungen an ihren Satzungen anbrächte, würde das das Geschrei dämpfen, das sich von allen Seiten gegen sie erhebt…“ Und der General antwortete mit Würde: „Sie mögen so sein wie sie sind, oder sie mögen überhaupt nicht sein.“ Wollen wir etwa behaupten, wir könnten es besser als die anderen? Mitnichten! Wir wollen aber auch nicht übersehen, dass Gott uns die Gunst erwies, uns auf ein unerschütterliches Fundament stützen zu können. Wir sind auferbaut auf der Lehre des hl. Franz v. Sales, und ihr wisst, dass Papst Pius IX. von ihm sagte, man könne ihn den Doctor Infallibilis (deutsch: den unfehlbaren Lehrer) nennen. Wenn wir uns auf ihn stützen und gründen, sind wir auch sicher, ihn richtig zu verstehen, und zu erklären, weil wir als Führerin die Gute Mutter haben. Denn sie ist nach der Überzeugung der Gelehrten, die ich in Rom getroffen habe, die treueste und umfassendste Dolmetscherin der Lehre ihres hl. Gründers.

Darum müssen wir fest, unangreifbar und hart wie Fels sein. Wir sind im Besitz der sicheren Wahrheit. An uns ist es, sie eifersüchtig zu bewahren und nichts davon verderben zu lassen, richtig zu handeln und die anderen reden zu lassen. Die praktische Folgerung dieser Exerzitien wird für jeden von uns darin bestehen, unsere Standfestigkeit zu mehren, unseren Willen zur Erfüllung des göttlichen Werkes zu stärken, und mehr und mehr in der Kraft der Gnadengabe zu stehen, die uns geschenkt wurde. Wir werden ganz stark sein, wenn wir in dieser Richtung vorangehen, uns mehr und mehr von dieser Lehre nähren, die die unsere ist, uns immer mehr bemühen, sie aus der Theorie in die Wirklichkeit zu überführen, und uns sonst nicht darum zu kümmern, was man um uns herum sagen und tun mag. Jeden Tag müssten wir dem lieben Gott beteuern können: „Da bin ich Herr. Ich komme zu Dir, weil ich überzeugt bin, dass das dein heiliger Wille ist. Amen!“